"Der Kapitalismus ist das Problem"
Wir haben mit Dr. Joe Hill (auf dem Foto ganz links) von der Solidarischen Landwirtschaft Bonn (SoLaWi Bonn) ein Interview über die aktuellen Herausforderungen in der Landwirtschaft geführt. Er wird beim diesjährigen NachhaltigkeitsCamp Bonn einen Input geben.
1. Du arbeitest mittlerweile seit 2018 bei der Solidarischen Landwirtschaft in Bonn (SoLaWi Bonn). Was waren deine Beweggründe, ein Mitglied der SoLaWi zu werden?
Ich habe als Sozialwissenschaftler in der Forschung gearbeitet und habe mich in meiner Arbeit auf die Landwirtschaft in Südasien und später auch Zentralasien konzentriert. Dabei ging es unter anderem um das kollektive Management von Wasser für die Landwirtschaft, Saatgutvielfalt, und den (falschen) Einsatz von chemischen Pestiziden. Mit 40 Jahren kam ich dann aus Indien zurück nach Bonn und wollte selbst Landwirtschaft betreiben. Schon vor meiner Zeit im Ausland war ich Mitglied der SoLaWi Bonn. Nach meiner Rückkehr wurde mir von der SoLaWi eine Stelle angeboten – meine Zusage habe ich bis heute nicht bereut. Es gibt mehrere Gründe, die mich motiviert haben: der Drang, etwas mit meinen Händen zu tun, anstatt am Computer zu arbeiten, draußen in der Natur zu arbeiten, der Wunsch, vor Ort zu arbeiten, die lokale Wirtschaft zu stärken und gleichzeitig für meine Kinder da zu sein und mich Menschen anzuschließen, die versuchen, unsere Wirtschaft zum Besseren zu verändern und ganz besonders von Menschen, die zurück aufs Land ziehen und dort versuchen, die Landwirtschaft positiv zu verändern. Außerdem war es mir wichtig, nachhaltig zu leben, was für mich persönlich bedeutet, einen Job zu haben, für den ich nicht fliegen muss. Ich war in meinem Erwachsenenleben noch nie glücklicher und gesünder.
2. Du hast mehrere Jahre in Indien gelebt. Beeinflusst dich, beziehungsweise wie beeinflusst dich, deine Forschung zum Missbrauch chemischer Pestizide und zum ökologischen Landbau in Jharkhand, Indien deine heutige Arbeit in Bonn?
Ich habe insgesamt etwa sechs Jahre in Indien gelebt und davon die meiste Zeit in Ostindien verbracht. Aus wirtschaftlicher Sicht sind Jharkhand und andere Teile Ostindiens die ärmsten Regionen des Landes. Allerdings sind sie kulturell divers und das Zuhause von verschiedenen ethnischen Gruppen. Die Regionen wurden jedoch völlig von der Grünen Revolution übergangen, die sich vor allem auf die sowieso schon florierenden und ertragreichen Farmregionen Indiens fokussierte. In Jharkhand hat die Nutzung von Hybridsaatgut und chemischen Mitteln erst in den späten 1990ern begonnen. So bekamen die wirtschaftlich armen Landwirte nie staatliche Förderungen und wirtschafteten bis etwa zum Jahr 2000 standardmäßig ökologisch. Private Unternehmen haben die Landwirte dazu getrieben, eine Reihe an chemischen Pestiziden zu nutzen – selbst solche, die nicht für die tatsächliche Nutzung freigegeben sind. Zudem benutzen die Landwirte die Pestizide ohne Schutzkleidung. Auch am Tag vor der Ernte wird gesprüht, was zufolge hat, dass die Konsumentinnen und Konsumenten einem bunten Chemikaliencocktail ausgesetzt sind. Die große Vielfalt lokaler Reissorten und anderer Kulturpflanzen geht durch das aggressive Vorgehen privater Unternehmen zur Förderung von Hybridsorten verloren, was absurd ist, da Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler schon lange darauf hinweisen, dass Saatgutvielfalt angesichts des sich schnell verändernden Klimas notwendig ist. Wenn Monokulturen scheitern, werden die großen Agrochemiekonzerne nicht einspringen, um die Menschen zu ernähren. Meine Forschungsarbeit und meine Erfahrungen haben mich stark beeinflusst in meiner Entscheidung, in die Landwirtschaft einzusteigen. Ich bin der Meinung, dass der notwendige Wandel hin zu einer lokalisierten und biologischen Lebensmittelproduktion, wie er von vielen Klimawissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern empfohlen wird, nur erreicht werden kann, wenn einige von uns eine mutige Haltung einnehmen und die nötigen Schritte gehen.
3. Wo siehst du das größte Hindernis in der Landwirtschaft in Bezug auf Nachhaltigkeit und was wünschst du dir für eine nachhaltigere Zukunft?
Es gibt mehrere große Hindernisse. Das Lobbying der großen Agrochemiekonzerne. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die den weiteren Ausbau der konventionellen Landwirtschaft fördern (und diese als evidenzbasiert darstellen). Das Greenwashing großer Konzerne, beispielsweise die Aneignung fortschrittlicher Konzepte wie der regenerativen Landwirtschaft. Die Art und Weise, wie die Wissenschaft selbst strukturiert ist, in dem Sinne, dass vielen Agrarwissenschaftlerinnern und -wissenschaftlern an den Universitäten beigebracht wird, dass die konventionelle Landwirtschaft der einzige Weg ist, sodass sie nicht einmal die Möglichkeit haben, dieses Konzept zu hinterfragen. Die niedrigen Kosten für Lebensmittel in Deutschland sind auch ein großes Problem, da die Menschen daran gewöhnt sind, nur einen kleinen Teil ihres Einkommens für Lebensmittel und einen größeren Teil für den Konsum von Freizeitprodukten auszugeben. Die hohen Wohnkosten für diejenigen unter uns, die keinen Reichtum geerbt haben, bedeuten auch, dass weniger Geld übrigbleibt, um es für lokale und ökologische Lebensmittel auszugeben. Ich schätze, dass viele Menschen lokale, frische, saisonale und auch Bio-Lebensmittel kaufen wollen, aber dass sie eben diese Produkte als zu teuer wahrnehmen. Wie soll jemand mit einem Mindestlohn 2,99 Euro für ein Bund Bio-Frühlingszwiebeln aus der Region in einem Biomarkt bezahlen, wenn er ein Bund aus einem anderen Land für 70 Cent auf dem Markt kaufen kann? Die Hindernisse kommen also von der Industrie und den Unternehmen, von den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und von der mangelnden Bereitschaft der Regierung, unsere Wirtschaft so umzugestalten, dass Wohlstand umverteilt und allen Menschen ein würdiges Leben ermöglicht wird. Kurz gesagt: Der Kapitalismus ist das Problem. Die meisten von uns wissen das auch. Die Frage ist nur, wie wir das verändern können.
4. Du wirst auf dem NachhaltigkeitsCamp Bonn einen Input geben. Worauf können sich die Teilnehmer freuen?
Ich werde einen Überblick über unsere Arbeit bei der SoLaWi Bonn geben, die viel mehr macht, als nur Gemüse anzubauen. Wir arbeiten daran, die Artenvielfalt auf unseren Feldern zu erhöhen oder den Boden und den Humusgehalt zu verbessern (die Unterschiede sind deutlich: Wenn es stark regnet, läuft auf unseren Feldern das Wasser nicht ab oder bleibt stehen, wie es auf den benachbarten Feldern der Fall ist, sondern es wird vom Boden aufgenommen). Wir bringen unsere Mitglieder und andere Freiwillige (wieder) in Kontakt mit der Natur und der Lebensmittelproduktion. Ich werde auch erklären, wie wir uns alternativ organisieren, also als Kollektiv ohne Hierarchie, und wie wir versuchen, uns selbst einen fairen Lohn zu zahlen (die meisten Arbeitenden auf den Feldern in Deutschland kommen aus Osteuropa und erhalten den Mindestlohn oder weniger). Unser Verein wird von den Mitgliedern auf freiwilliger Basis geführt und das ist für das Funktionieren des Projekts insgesamt entscheidend. Abschließend werde ich auch auf einige Herausforderungen eingehen, mit denen wir konfrontiert sind. Die größte davon sind die Preiserhöhungen in den letzten 18 Monaten, die zu einem starken Rückgang unserer Mitgliederzahlen geführt haben. Das Problem ist aber etwas tiefgründiger und darauf werde ich kurz eingehen. Wenn ihr unseren Betrieb besuchen oder Mitglied werden wollt, schaut vorbei auf: